ÜBER DAS BUCH

FRONT


 

Das Buch basiert auf intensiv geführten Interviews mit meinem Vater (1921 - 2015) über seine Kriegserfahrung als Infanterist an der Front in Russland und in der Normandie im Zweiten Weltkrieg. Er war zwanzig Jahre alt, als er zum ersten mal an die Front im Osten geschickt wurde.

Zusätzlich studierte ich die Unterlagen der relevanten Divisionen und höherer Kommandoebenen im Militärarchiv/Bundesarchiv Freiburg, um die individuelle Erfahrung in einen übergeordneten militärischen Kontext zu platzieren.

 

 

Leseprobe 1

Wie das Buch beginnt ...

Mit dem Zug von Köln an die Front in Russland

FRONT - das Buch - Köln Hauptbahnhof, 1941

Köln, März 1942

Die Kasernen hatten pünktlich zum Frühling ihre frisch ausgebildeten Soldaten entlassen. Sie sammelten sich wie Zugvögel auf den Plattformen des Kölner Hauptbahnhofs. Die Gesichter strahlten frisch und unversehrt und die Haare waren entsprechend der Mode der Zeit geschnitten: Ansatz kurz und Deckhaar länger. Die jungen Männer standen in Grüppchen beisammen und einige kannten sich bereits aus der Ausbildung. Niemand wusste, wo er eingesetzt werden würde, denn der Einsatzort wurde nicht preisgegeben.

Die militärische Situation, in der sich Deutschland aktuell befand, machte das Rätselraten um so schwieriger, denn die Wehrmacht befand sich in sehr vielen Staaten:

1938 - Österreich und der deutschsprachige Teil der Tschechei (Sudetenland) hatten sich Deutschland angeschlossen.

1939 - Polen war besetzt und aufgegliedert worden.  Die gesamte Tschechoslowakei kam unter deutsche Kontrolle.

1940 - Besetzung von den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Dänemark. Einmarsch in Norwegen und Nordafrika 

1941 - Angriff auf Jugoslawien, Griechenland und die Sowjetunion.

 

Für die jungen Soldaten, die nun zum ersten Mal eingesetzt werden würden, gab es nur zwei Verwendungsziele: Entweder wurden die Männer einer Besatzungstruppe im Ausland zugewiesen oder an einen aktuellen Frontabschnitt in den Kampf geschickt. Im März 1942 gab es zwei große Fronten: Nordafrika und die Ostfront.

Die Ostfront begann an der Barentssee am Nordpolarmeer in Nordfinnland und zog sich durch Russland bis runter zur Krim im Schwarzen Meer. Insofern waren die westlichen Mitgliedstaaten der Sowjetunion bereits in deutscher Hand: Weißrussland, die baltischen Staaten und die Ukraine. 

FRONT - Militärgeschichte - Clemens, März 1942

Clemens zählte mit seinen zwanzig Jahren zu den vielen Soldaten, die zum ersten Mal in den Krieg geschickt wurden. An welcher Front oder in welchem Land würde er eingesetzt werden? 

Im Bahnhof suchte er nach der Kommandantur, wo er erste Informationen über seinen Einsatz erfahren würde. Der junge Mann legte sein Soldbuch vor und der Unteroffizier blätterte durch die Karteikarten. Er blickte Clemens an. „Sie gehören ab sofort zur 95. Infanterie-Division.“ Eigentlich war Clemens Teil der 26. Infanterie-Division, der Heimatdivision der Rheinländer und Münsteraner, und er gehörte zum 78. Infanterieregiment. Im Moment lag diese Division in Rshew, dem gefährlichsten Frontabschnitt vor Moskau. Es war also Glück oder Berechnung, dass er als Neuling nicht an den schlimmsten Krisenherd geschickt wurde. Jetzt war er zur 95. Infanterie-Division versetzt worden, aber wo war diese Einheit im Einsatz?! Der Offizier las die notwendigen Daten vor: „Sie reisen mit dem Zug mit der Nummer x, er steht auf Gleis y, fährt dann und dann ab, und sie fahren im Güterwagen mit der Nummer z.“

„Wohin geht die Fahrt?“, fragte

„Ich weiß es nicht“, war die ehrliche Antwort, „aber es geht in Richtung Osten.“

 

Foto ganz oben: Kölner Hauptbahnhof auf einer Postkarte von 1941

 

 

FRONT - Militärgeschichte - Von Köln mit dem Zug an die Front in Russland

Die Karte zeigt die Zugstrecke von Köln nach Kolpna in Russland, wo Clemens zum ersten Mal an der Front eingesetzt wird.

 

Distanz von Köln nach Kolpna

2300 km


Leseprobe 2

Im Fleischwolf von Rshew

Der Frontbogen von Rshew

Überblick

Die Division wurde per Zug aus dem Raum Woronesh an die Front bei Rshew transportiert, um dort eine aufgeriebene Division abzulösen. Distanz von Woronesh bis Rshew 770 km. 

Die russische Stadt Rshew liegt 230 km nordwestlich von Moskau. Hier war ein riesiger Frontbogen entstanden, den die Rote Armee mit allen Mitteln abzuschnüren versuchte. Wenn den Sowjets das gelänge, dann wären die deutschen Soldaten gefangen und vom Nachschub abgeschnitten.

Im Frontbogen von Rshew fielen mehr Soldaten als bei der Schlacht um Stalingrad.

 

 

 

Generalstabskarte vom 1. November 1942, Militärarchiv Freiburg

Auf der Generalstabskarte vom

1. November 1942 ist die Lage der

95. Infanterie-Division eingekreist.

 

Die rote Wolke an roten Nummern zeigt die Dichte der sowjetischen Streitkräfte vor der deutschen Front.

Ausschnitt

Perspektive Clemens

Angriff

Die Nacht war wie die vorangegangenen Nächte klirrend kalt. Der Winter begann sich durchzusetzen. Schnee war noch nicht gefallen, aber weißer Raureif überzog am Morgen die Natur. Sie waren bereits im Dunkeln aufgestanden und hatten im frühesten Morgenlicht ihre letzten Essensreste verspeist. 

„Wir haben nicht so viel im Magen“, meinte einer, „wenn wir jetzt einen Bauchschuss kriegen, sterben wir nicht so schnell.“ 

Das war ein ständiges Thema in allen Schützengräben: Isst man vor einem Angriff viel, ist man gestärkt und hält lange durch. Kriegt man dann jedoch einen Bauchschuss, und das Essen quillt in den Bauchraum, stirbt man schnell an einer Sepsis. Isst man hingegen wenig, ist man zwar geschwächt, hat aber bei einem Bauchschuss bessere Überlebenschancen. 

Eine medizinisch fundierte Interpretation hatte es nie bis in die Schützengräben geschafft. 

In der medizinhistorischen Literatur wird von 40 bis 50 % Überlebenden gesprochen, die sowohl die Bauchschussoperation als auch die folgenden drei bis vier Wochen überlebt hatten. Dieser Prozentsatz war aber nur erreichbar, sofern der verwundete Soldat eine gute Gesundheit mitbrachte. Bei geschwächtem Körper und Immunsystem wie in den letzten Kriegsjahren sank die Überlebenschance drastisch. (2)

 

Die frühe Morgenluft war eiskalt und kühlte die angsterfüllten Körper. Wenn man jetzt bloß eine Zigarette rauchen dürfte! Der Stahlhelm saß eiskalt auf dem Kopf und schränkte die Sicht- und Hörqualität ein. Die Männer standen in voller Montur bereit: Jeder hielt sein Gewehr oder seine Maschinenpistole bereit. Die „Sprengleute“ hatten ihre Gewehre umgehängt, damit sie die Hände freihatten für die Dynamitstangen und Handgranaten. Gefreiter Friedrich Albrecht war der Ersatzführer, falls Clemens fallen sollte.

FRONT - Militärgeschichte - Vorgeschobener Beobachter in Russland 1943, Bundesarchiv

Der Artilleriehauptmann als vorgeschobener Beobachter (VB) richtete sich mit mehreren Nachrichtenleuten im Graben von Clemens ein. Sie bauten ein Feldtelefon auf und stellten die Verbindung zum Artilleriechef her. Mit dem Feldstecher sondierte der Hauptmann vorsichtig die gegnerische Landschaft. 

„Sie hören auf mein Kommando!“, wies der Artillerie-Offizier die Infanteristen ein. „Ich sage ihnen, wann der Angriff losgeht. Erst bei meinem Kommando springen sie aus den Gräben! Sobald sie draußen sind, folgen sie dem Kommando ihres Gruppenführers.“

Vertrauen war gefordert.

Das Artilleriefeuer begann und tastete die russischen Stellungen vor ihnen ab. Der Hauptmann war in Telefonkontakt mit seiner Einheit. Die letzten Artillerieschüsse waren noch in der Luft, als er den Männern das Kommando zum Angriff gab. 

Schnell sprangen die Soldaten aus den Gräben und hetzten auf ihr Ziel los. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Jeder kannte sein Ziel. Zum ersten Mal betraten sie das Gelände vor den Gräben, eine Lichtung mit fahlen Grasstauden. Der Boden war entsprechend uneben und auch das schnelle Sprinten war man nicht mehr gewohnt. Es war nur das Adrenalin, das die Männer wie flinke Gazellen über den Acker jagte. Gelegentlich krachte das Eis in den gefrorenen Pfützen und schmatzend tauchte der Stiefel in den Morast. Bloß nicht stolpern. Schnell weiter! Füße hoch. 

     Die Russen verharrten in ihrer Deckung. Jeder Soldat, ob Russe oder Deutscher, wusste, dass immer ein Angriff vom Gegner bevorstand, wenn die feindliche Artillerie ihn in Deckung hielt. Aber was blieb den Angegriffenen anderes übrig, als sich tief runter in den Graben zu kauern und abzuwarten, bis die Granatgeschosse aufhörten. Da war es dann zu spät! 

 

 

(1) Fotograf: Göttert. Titel: Russland, vorgeschobener Beobachter am Feldfernsprecher. Dezember 1943. Bundesarchiv, Bild 146-1985-022-25 / Göttert / CC-BY-SA 3.0. Wiki Commons. 

(2) Behrendt, Karl Philipp: Die Kriegschirurgie von 1939-1945 aus der Sicht der beratenden Chirurgen des deutschen Heeres im Zweiten Weltkrieg. Dissertation. Institut für Geschichte der Medizin der Albert-Ludwigs-Universität. Freiburg/Br. 2003. S. 123 ff.

 

 

 


Leseprobe 3

An der Front in der Normandie

Generalstabskarte vom 6. August 1944, Militärarchiv Freiburg

Überblick

Clemens wurde im Februar 1944 nach Frankreich in die 84. Infanterie-Division versetzt, die an der französischen Kanalküste eingesetzt war.

Distanz von Köln bis Dieppe

520 km und von dort bis an die Front in der Normandie weitere 270 km.

 

Nachdem die Alliierten im Juli 1944 die deutsche Front bei Avranches in der Normandie durchbrochen hatten, wurde die 84. Infanterie-Division an dieser Durchbruchstelle eingesetzt.

Auf der Generalstabskarte vom 6. August 1944 ist die Lage der 84. ID markiert.

Die Division lag rechts von der 116. Panzer-Division, die im Vorstoß auf Avranches aufgerieben wurde (Battle of Mortain).

 

 

FRONT - Militärgeschichte - Deutsche Fallschirmjäger nach der Invasion der Alliierten in der Normandie. Bundesarchiv

Perspektive Clemens

5. August 1944

Clemens versuchte, sich geistig auf ein Gefecht einzustellen. Aber wie würde der Krieg gegen die Amerikaner aussehen? Gemäß seiner Erfahrung aus Russland stellte er sich vor, dass der Gegner mit Infanterie die deutschen Infanteristen angreifen würden. Für so eine Situation fühlte er sich einigermaßen vorbereitet. Da sah er schwer bewaffnete Soldaten durchs Gelände schleichen. Sie sahen schrecklich aus: abgekämpft, aufgerieben, kaputt, demoralisiert. Aufgrund ihrer Stahlhelme, deren Rand kürzer war verglichen mit dem normalen Stahlhelm, und wegen ihrer langen Jacken identifizierte er sie als Fallschirmspringer. Es waren Elitesoldaten, denen der Ruf, ganz besonders gute Kämpfer zu sein, vorauseilte.   

„Was war los?“, fragte Clemens schockiert. Der Mann winkte frustriert ab. „Du sitzt im Schützenloch, gut getarnt, und Bomben regnen runter. Meter um Meter Land fliegen in die Luft. Da hilft keine Deckung. Es ist Zufall, wenn Du überlebst!“ 

Von der Eliteeinheit war nicht mehr viel übrig geblieben, obwohl noch kein amerikanischer oder englischer Infanterist die Gegend überhaupt betreten hatte.

„Das war die Elite der deutschen Wehrmacht!“, dachte Clemens. „Wie wird es uns ergehen?!“ Er realisierte, dass der Krieg aus der Luft gekämpft wurde. Es herrschten ganz andere Bedingungen als in Russland. Seine Hoffnung, als Infanterist die herannahende Kriegssituation meistern zu können, war erschüttert.

 

(1) Fotograf: Slickers, Frankreich, Normandie, Fallschirmjäger auf Landstraße, Juni 1944, Bundesarchiv, Bild 101I-586-2225-16/ Slickers / CC-BY-SA 3.0. Wikimedia Commons.

 


Leseprobe 4

Inhaltsverzeichnis

  1. Mit dem Zug von Köln nach Russland an die Front - 1942
  2. Sommeroffensive in Russland - 1942
  3. Im Fleischwolf von Rshew - 1942
  4. Die militärische Ausbildung - 1943
  5. Zurück nach Russland an die Front - 1943
  6. In Erwartung der Alliierten in Frankreich - 1944
  7. An der Front in der Normandie - 1944
  8. Im Kessel von Falaise - 1944
  9. Kriegsgefangenschaft in Amerika (USA) - 1944 - 46
  10. Rückkehr nach Deutschland - 1946
  11. Schicksal der 95. und 84. Infanterie-Division - 1945
  12. Was vom Krieg übrig blieb
  13. Fakten und Zahlen
  14. Gliederung der 95. Infanterie-Division
  15. Ausrüstung des Infanteristen an der Front
  16. Literatur

  

Das Buch hat 520 Seiten mit vielen originalen Fotos.